Triratna (ehemals Freunde des Westlichen Buddhistischen Ordens)
Herkunft & Hintergrund: Triratna ist eine westlich-buddhistische Neubewegung, gegründet 1967 in London von Dennis Lingwood, der sich als Mönch Sangharakshita nannte (Buddhistische Gemeinschaft Triratna – Wikipedia). Sangharakshita hatte viele Jahre in Indien verbracht, war dort in verschiedenen Traditionen ordiniert (Theravada bhikkhu, aber auch Zen- und Tantra-Kontakte) und lernte auch von zeitgenössischen Größen wie Dharmapala und später dem Dalai Lama. Mit diesem reichen Hintergrund kehrte er nach England zurück und stellte fest, dass der dortige Buddhismus zu sehr an starre Schulen gebunden war (Buddhistische Gemeinschaft Triratna – Wikipedia). Er wollte einen „neuen Buddhismus“ schaffen, der nicht-sektiererisch ist und für moderne Menschen passt.
So gründete er die Organisation FWBO (Friends of the Western Buddhist Order) und kurz darauf den Westlichen Buddhistischen Orden (WBO). Der Begriff „Orden“ war speziell: Er wollte weder Laien noch Mönche sein, sondern irgendetwas dazwischen – Menschen (egal ob verheiratet oder nicht), die eine tiefe Verbindlichkeit zum Dharma eingehen und ordinierte Mitglieder eines neuen Ordens werden, ohne ihre bürgerliche Identität aufzugeben. Dies war neu in der buddhistischen Welt.
Triratna (Sanskrit für „Drei Juwelen“) benannte sich 2010 um, um Missverständnisse („westlich“ klang ausgrenzend) zu vermeiden. Mittlerweile ist Triratna in vielen Ländern aktiv, mit Zentren z.B. in Indien (dort v.a. unter Dalit-Buddhisten beliebt), Europa, Amerika (Deutsche Buddhistische Union e.V. – Buddhistische Religionsgemeinschaft).
Lehre & Praxis: Triratna hat keine eigene Doktrin im Sinne eines neuen Sutras. Es greift auf alles zurück, was im Buddhismus verfügbar ist (Deutsche Buddhistische Union e.V. – Buddhistische Religionsgemeinschaft). Sangharakshita war belesen und zog Inspiration von Theravada (vor allem Buddhaghosa, Visuddhimagga), Mahayana (Shantideva, Lotus-Sutra) und Vajrayana (Symbolik des tibetischen Tantra, auch Freundschaftsideal des Milarepa-Gampopa). Er legte aber bestimmte Schwerpunkte:
- Going for Refuge: Er betonte, dass die Zufluchtnahme zu Buddha, Dharma, Sangha der zentrale Akt ist, der einen zum Buddhisten macht (Buddhistische Gemeinschaft Triratna – Wikipedia). Rituale der Zuflucht sind daher Herz der Ordinationszeremonie.
- Spiritual Friendship (Kalyana mitrata): Freundschaft unter Praktizierenden sah er als wichtiger an als formale Lehrer-Schüler-Hierarchie. Daher existieren in Triratna Mentoring-Beziehungen und Gemeinschaften, wo Gleichgesinnte eng zusammenleben.
- Vereinigung der buddh. Traditionen: Bei Triratna wird sowohl Meditation gelehrt (metta bhavana aus dem Theravada, anapanasati etc.) als auch Devotion (puja-Rituale mit Verehrung von Buddhas und Bodhisattvas). Man feiert sowohl Theravada- als auch Mahayana-Festtage. Es gibt keine dogmatischen Ausschlüsse – man kann Zen koans diskutieren und nächstes Mal tibetische Mantras singen.
- Kunst & Kultur: Sangharakshita, selbst Dichter, maß der Kunst eine spirituelle Rolle bei – Triratna-Zentren haben teils Kulturräume, sie betrachten den ästhetischen Sinn als Brücke zum Höheren.
Praktisch laufen Triratna-Aktivitäten oft so ab: Offene Meditationsabende für Neulinge, Dharma-Vorträge, Studiengruppen (z.B. „Was bedeutet die Bodhisattva-Idee heute?“), und für Ordinierte besondere Retreats. Die Ordenen (Mitglieder des Triratna-Ordens) tragen meist keinen besonderen Habit im Alltag, aber zu Zeremonien legen sie ein weißes Gewand oder zumindest ein kesa (Schärpe) um.
Ordiniert wird man nach einigen Jahren ernsthafter Praxis; es gibt „private Ordination“ (individuelle Zufluchtszeremonie mit einem Preceptor) und „öffentliche Ordination“ (Vorstellung vor dem Sangha). Ordenen erhalten einen Sanskrit-Namen als spirituellen Namen.
Triratna in Deutschland: Schon in den 1980ern entstanden FWBO-Gruppen in Deutschland, die erste in Essen. Bis heute ist Essen ein Zentrum mit eigenem Haus. Es folgten weitere Gruppen: z.B. Düsseldorf, Berlin, Hamburg-Bergedorf, München (Vimaladhatu) usw. (Deutsche Buddhistische Union e.V. – Buddhistische Religionsgemeinschaft). Aktuell sind es um die 10–12 Zentren/ Gruppen. Die Gesamtmitgliederzahl (Ordinierte plus Mitmacher) ist wahrscheinlich im niedrigen dreistelligen Bereich. Triratna Deutschland ist in der DBU aktiv vertreten.
Triratna genießt unter westlichen Buddhisten Achtung für seine integrative Haltung, hatte aber auch kritische Phasen:
Kontroversen & Aufarbeitung: In den späten 1990ern geriet die FWBO in UK in Kritik nach Veröffentlichung der „FWBO Files“ – einem Dokument, das anonyme Vorwürfe sammelte. Darin wurde Sangharakshita beschuldigt, in den Anfangsjahren sexuelle Beziehungen mit etlichen jungen männlichen Schülern gehabt zu haben und teils seine Autorität missbraucht zu haben, um solche Intimitäten zu initiieren (Buddhistische Gemeinschaft Triratna – Wikipedia). Auch war von „ambiguous attitudes towards women“ die Rede (Buddhistische Gemeinschaft Triratna – Wikipedia). Sangharakshita räumte später „Fehler“ ein und bedauerte die Schäden (Buddhistische Gemeinschaft Triratna – Wikipedia). 2017 gab es erneut Medienartikel (The Guardian, The Observer) über ehemalige Mitglieder, die den Umgang mit den Vorfällen kritisierten (Buddhistische Gemeinschaft Triratna – Wikipedia). Daraufhin veröffentlichten leitende Mitglieder des Ordens offene Briefe und stellten klar, dass man die alten Probleme anerkennt und heute anders handle (Buddhistische Gemeinschaft Triratna – Wikipedia).
Diese Episode zeigt, dass selbst eine modern gedachte Organisation nicht frei von klassischen Problemen war: ein charismatischer Gründer, junge idealistische Anhänger, sexuelle Dynamiken – etwas, das viele spirituelle Gemeinschaften kennen. Allerdings hat Triratna daraus gelernt und inzwischen strengere Ethikrichtlinien und Ansprechpersonen implementiert.
Heute führt Sangharakshita nicht mehr (er verstarb 2018). Triratna wird kollektiv geleitet durch einen Rat aus erfahrenen Mitgliedern. Die Bewegung hat sich teils neu orientiert: mehr Diversität, mehr Zusammenarbeit mit anderen Buddhisten, klare Distanzierung von jeglicher Art von Missbrauch.
Stärken & Herausforderungen: Triratna’s Stärke liegt in seiner Flexibilität und Ganzheitlichkeit. Er bietet westlichen Menschen, die sich keiner asiatischen Schule zuordnen wollen, ein Zuhause. Man kann sich auf Dharma einlassen, ohne japanisch, tibetisch oder burmesisch zu lernen – der Dharma wird in englisch/deutsch gelehrt. Frauen und Männer sind gleichgestellt (Sangharakshita gründete parallel einen Frauenorden, aber in Praxis verschmelzen diese). Auch LGBT-Personen finden offenen Raum.
Die Herausforderung ist, gegen die etablierten, traditionsreichen Schulen zu bestehen. Manche Interessierte bevorzugen doch „das Echte aus Asien“ mit Jahrhunderte alter Linie, statt einer Neugründung aus den 1960ern. So bleibt Triratna eher klein. Auch nach Sangharakshitas Tod muss sich zeigen, ob genug inspiriertes Führungspersonal vorhanden ist, um die Gemeinschaft lebendig zu halten.
In Deutschland ist eine Herausforderung die Bekanntheit – viele haben von Zen oder Dalai Lama gehört, aber nicht von Triratna. Öffentlichkeitsarbeit und klareres Profil könnten helfen. Andererseits will man gerade nicht als „Sekte“ rüberkommen, also wird Zurückhaltung geübt.
Summa summarum ist Triratna ein interessantes Experiment: Buddhismus im Westen, von Westlern gestaltet. Die Mischung aus Meditation, Studium und engagiertem Alltag (viele Triratna-Leute wohnen in WG-Communities und betreiben ethische Arbeitsprojekte) kann als Vorbild für einen integralen Buddhismus dienen. Inwieweit dies skaliert und viele anzieht, bleibt offen – aber die, die dabei sind, schätzen die familiäre und vielseitige Atmosphäre.