Ahimsa im Buddhismus

Praktische Umsetzung von Ahimsa im Alltag und in der Gesellschaft

Im persönlichen Alltag: Die Praxis der Gewaltlosigkeit beginnt im täglichen Leben jedes Buddhisten. Konkret bedeutet Ahimsa zunächst, kein Lebewesen willentlich zu töten. Viele praktizieren dies, indem sie z.B. Insekten schonend aus der Wohnung entfernen statt sie zu zerquetschen. Auch auf vermeintlich geringfügige Gewalthandlungen wird geachtet: etwa beim Gärtnern kein unnötiges Roden von Pflanzenleben, beim Gehen Umsicht, um keine Tiere zu zertreten. Zentral ist die innere Haltung der Metta (liebende Güte) und Karuna (Mitgefühl), die man gegenüber allen Wesen kultiviert. Daraus ergibt sich von selbst die Bereitschaft, anderen kein Leid zufügen zu wollen. Ahimsa ist somit mehr als das bloße Unterlassen von Gewalt – es ist eine aktive Geisteshaltung der Güte. Wie Swami Sivananda schrieb: „Ahimsa ist nicht nur negative Nicht-Verletzung. Sie ist positive, universelle Liebe… Wo Liebe ist, da ist Ahimsa (Teachings Of Jain Religion: Ahimsa | Prashuk Jain) (Teachings Of Jain Religion: Ahimsa | Prashuk Jain).“ Ein Praktizierender bemüht sich also, im Herzen Freundlichkeit zu entwickeln, sodass gar kein Impuls entsteht, einem anderen zu schaden.

Ahimsa in Wort und Gedanken: Gewaltlosigkeit beschränkt sich nicht auf physische Handlungen, sondern umfasst auch Worte und Gedanken. Harte, verletzende Sprache gilt im Buddhismus als eine Form von Gewalt (Himsa), die es abzulegen gilt (Teachings Of Jain Religion: Ahimsa | Prashuk Jain). Praktisch heißt das, Lügen, Beleidigungen, Verleumdungen und hetzerische Reden zu vermeiden. Buddhisten üben sich in Right Speech (rechter Rede) – ehrlich, versöhnlich, freundlich und sinnvoll zu sprechen – als Teil des Edlen Achtfachpfades. Selbst in Gedanken soll man versuchen, keine Aggression oder Böswilligkeit aufkommen zu lassen. Natürlich gelingt dies nicht sofort; die buddhistische Praxis betont einen graduellen Weg. Bei Zorn oder Groll empfiehlt der Buddha Achtsamkeit: Man soll den Ärger wahrnehmen, aber nicht von ihm fortgerissen werden, bis er von selbst verklingt. Eine Methode ist die Metta-Meditation, in der man systematisch Wohlwollen für alle Wesen – sogar für „Feinde“ – entwickelt, um negative Gefühle in Mitgefühl umzuwandeln. So wird die innere Grundlage für Ahimsa gestärkt. „Wer keine solchen Rachsucht-Gedanken hegt, ist frei von Hass“, heißt es weise im Dhammapada.

Soziale und berufliche Aspekte: Ahimsa spiegelt sich auch in der Berufswahl und gesellschaftlichen Tätigkeit wider. Der Buddha lehrte den Laienanhängern, einen „rechten Lebenserwerb“ (samyag-ājīva) zu pflegen, der mit ethischen Prinzipien vereinbar ist. Falscher Lebenserwerb umfasst alles, was anderen schadet. In Anguttara-Nikaya 5.177 listet der Buddha ausdrücklich fünf Berufsbereiche, die ein Laie meiden soll: „Handel mit Waffen, Handel mit lebenden Wesen (z.B. Sklavenhandel oder Vieh für die Schlachtung), Handel mit Fleisch, Handel mit berauschenden Substanzen und Handel mit Giften“. Diese fünf sind unvereinbar mit Ahimsa, da sie direkt oder indirekt Leid verursachen. Stattdessen werden Berufe empfohlen, die ehrlich und nützlich sind, ohne Schaden anzurichten. Historisch mieden viele Buddhisten somit z.B. die Tätigkeit als Jäger, Metzger, Soldat oder Waffenschmied. Auch heute noch verzichten gläubige Buddhisten vielfach auf solche Jobs; manche Firmen im buddhistischen Kulturkreis werben damit, „karma-freundlich“ zu sein (etwa keine Rüstungsproduktion).

Im gesellschaftlichen Miteinander fördert Ahimsa Friedfertigkeit und Hilfsbereitschaft. Buddhistische Gemeinschaften (Saṅghas) legen Wert auf Konfliktlösung durch Dialog und Nachsicht statt durch Zwang. Im Familien- und Gemeinschaftsleben bedeutet das etwa, Streit gewaltfrei zu schlichten und auf Racheakte zu verzichten. So rät der Buddha, selbst auf Ärger oder körperliche Angriffe nicht mit Aggression zu reagieren. In der Khuddaka-Patha heißt es: „Wie eine zerbrochene Glocke lautlos bleibt, so verstumme, wenn du gescholten wirst“ – denn wer Vergeltung übt, „in dem ist die Rachsucht noch lebendig“. Dieses Ideal zeigt sich in vielen buddhistischen Jātaka-Geschichten: Der Bodhisattva (Buddha in früheren Leben) erträgt geduldig Kränkungen oder Gewalt, ohne zurückzuschlagen, und bekehrt so oft die Angreifer durch sein Vorbild. Auch in der buddhistischen Populärliteratur gilt der „gewaltlose Held“ als Ideal: Statt den Drachen zu töten, zähmt er ihn durch Mitgefühl.

Gesellschaftliches Engagement: In der modernen Zeit manifestiert sich Ahimsa auch im sozialen und politischen Engagement von Buddhisten. Unter dem Begriff Engaged Buddhism (Engagierter Buddhismus) haben Lehrer wie Thich Nhat Hanh die Anwendung buddhistischer Gewaltlosigkeit auf aktuelle Probleme propagiert. Dies umfasst gewaltfreien Widerstand gegen Ungerechtigkeit, Einsatz für Menschenrechte und Umweltschutz. Buddhistische Aktivisten beteiligen sich an friedlichen Demonstrationen, Mahnwachen und Hilfsprojekten. Beispielsweise spielten buddhistische Mönche in Vietnam in den 1960er Jahren eine Rolle in pazifistischen Bewegungen; berühmt ist das Bild des Mönchs Thích Quảng Đức, der sich aus Protest gegen Gewalt selbst verbrannte, ohne anderen zu schaden. In jüngerer Zeit engagieren sich buddhistische Gruppen im Klimaschutz und betonen, dass Mitgefühl nicht nur Menschen, sondern auch Tiere und der Natur gilt. Viele bevorzugen eine vegane oder vegetarische Lebensweise, um Leid in der Massentierhaltung zu vermeiden – in Ost- und West gleichermaßen wächst diese Bewegung, oft unter Berufung auf das Ahimsa-Prinzip. Auch das Konzept der Abhaya-Dāna (Gabe der Furchtlosigkeit) wird hier relevant: Gemeint ist, durch sein Verhalten allen Lebewesen Sicherheit zu schenken, so dass kein Wesen Angst vor einem haben muss. Wer Ahimsa praktiziert, „lebt sein Leben derart, dass alle fühlenden Wesen sich sicher und geborgen in seiner Gegenwart fühlen“. So jemand wird quasi zur lebenden Zuflucht für andere – ein Idealbild praktizierter Gewaltlosigkeit in der Gesellschaft.

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