Dharmadhātu

Eine philosophische Einführung

Dharmadhātu (Sanskrit für „Bereich/Dimension der Phänomene“; chinesisch 法界 fǎjiè, tibetisch chos dbyings) bezeichnet in der buddhistischen Philosophie das allumfassende Wirklichkeitsprinzip, in dem alle Phänomene existieren. Wörtlich setzt sich der Begriff aus dharma (Dinge, Phänomene oder Wahrheiten) und dhātu (Bereich, Element) zusammen. Im Mahāyāna-Buddhismus entwickelte sich Dharmadhātu zu einem zentralen metaphysischen Konzept, das auf die wahre Natur der Realität verweist – oft gleichgesetzt mit Soheit (Skt. tathatā) oder Dharmanatur (Skt. dharmatā), der Leerheit aller Dinge im ultimativen Sinn (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions). Vereinfacht gesagt: Jedes einzelne Phänomen ist leer von eigenständigem Wesen, und all diese einzelnen „Leerheiten“ bilden zusammen eine einzige, allumfassende Leerheit: den Dharmadhātu (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions). Dieses „Bereich des Dharma“ gilt als Grundlage allen Seins – jenseits der relativen Unterschiede – und als eigentliche Wirklichkeit, „wie sie wirklich ist“ (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions).

Definition und metaphysische Bedeutung des Dharmadhātu

In frühen buddhistischen Lehrtexten hat dharmadhātu zunächst eine eher neutral-technische Bedeutung. So wird im Abhidharma der „Dharma-Bereich“ als eines der 18 Elemente (dhātu) des Daseins aufgezählt, nämlich das Objektfeld des Geistes (Gedankenobjekt) (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions). Im Mahāyāna hingegen erweitert sich der Begriff zu einem universalen Prinzip. Dharmadhātu bezeichnet nun die Gesamtheit aller Phänomene in ihrem wahren Wesen – den Raum der Wahrheit, der alle Erscheinungen durchdringt und in dem alle Unterschiede letztlich aufgehoben sind. Mahāyāna-Texte verwenden Dharmadhātu daher oft synonym mit dem Absoluten oder Unbedingten. Beispielsweise erklärt das Mahāprajñāpāramitā-Śāstra (ein einflussreicher Kommentar zur Vollkommenheit der Weisheit) das Dharmadhātu als „fundamentales Element“ und als anderes Wort für dharmatā, die wahre Natur aller Dharmas (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions). Dort heißt es: „Die einzelnen Dinge (dharmas) sind jeweils für sich leer. Diese Leerheiten haben ihre eigenen Besonderheiten, sind jedoch allesamt Tathatā (Soheit). Zusammen bilden sie eine einzige Leerheit: den Dharmadhātu.“ (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions). Hier wird deutlich: Dharmadhātu ist keine separate Substanz, sondern die allumfassende Leere oder Soheit, in der alle Einzeldinge vereint sind.

Aus solcher Sicht ist der Dharmadhātu jenseits aller dualistischen Gegensätze. Er kann weder als etwas Seiendes noch als Nichtseiendes begriffen werden. Mahāyāna-Sūtras beschreiben ihn daher oft durch Negationen und Übersteigerungen: Als „Bereich frei von Begierde und Unreinheit“, „ohne Entstehen oder Vergehen“, „ohne Kommen oder Gehen“, „weder Bleiben noch Aufhören“, schlicht „die Realität, wie sie wirklich ist“ (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions). In einem solchen absoluten Sinne ist der Dharmadhātu „weder ein Ort noch kein Ort“, da er nicht räumlich oder zeitlich festzumachen ist (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions) – er entzieht sich allen üblichen Kategorien von Geburt und Tod, Dauer und Vergänglichkeit, Hier und Dort (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions). Einige Texte bezeichnen Dharmadhātu darum auch als „Ort der absoluten Wahrheit“ (paramārtha) jenseits aller konventionellen Orientierung (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions). Philosophisch entspricht dies der höchsten Wirklichkeitsebene (paramārtha-satya) in der buddhistischen Zwei-Wahrheiten-Lehre – der Ebene der Leerheit und Grenzenlosigkeit aller Dinge.

Zusammengefasst ist Dharmadhātu also das metaphysische Prinzip der einen, letztendlichen Realität, die alle Phänomene umfasst und durchdringt. In ihm sind alle Dinge gleich in ihrem Wesen (denn alle sind leer/gekennzeichnet von Soheit) und untrennbar miteinander verknüpft. Dieses Konzept wurde in verschiedenen buddhistischen Schulen auf unterschiedliche Weise interpretiert und hervorgehoben, wie im Folgenden beleuchtet wird.

Dharmadhātu in klassischen Mahāyāna-Texten

In der Mahāyāna-Literatur Asiens wird der Dharmadhātu oft poetisch und bildreich beschrieben. Ein prominentes Beispiel ist der Avataṁsaka-Sūtra („Blumengirlanden-Sutra“), ein umfassender Mahāyāna-Text aus Indien, der gerade in Ostasien großen Einfluss hatte. Dieses Sūtra schildert den Dharmadhātu als ein unermessliches Netz gegenseitiger Durchdringung aller Phänomene. Berühmt ist das Gleichnis vom Indra-Netz: Das Universum wird als unendliches Netz von Juwelen vorgestellt, in dem jeder Edelstein alle anderen unendlich oft widerspiegelt. Jeder einzelne Bestandteil der Wirklichkeit enthält und spiegelt somit jeden anderen – eine Metapher für den Dharmadhātu als unendlich verflochtenes Ganzes (Treatise of the Golden Lion: An Exploration of the Doctrine of the Infinite Dependent Arising of Dharmadhātu). Der Hua-Yan-Tradition (chin. 華嚴, jap. Kegon), die aus dem Avataṁsaka-Sūtra entstand, zufolge „entstehen in diesem Dharma-Reich alle Dinge aus dem Zusammenspiel unzähliger Ursachen und Bedingungen, sie bestehen ineinander, durchdringen einander und nichts behindert dieses wechselseitige Durchdringen“ (Treatise of the Golden Lion: An Exploration of the Doctrine of the Infinite Dependent Arising of Dharmadhātu). In anderen Worten: Alle Phänomene sind in der Sphäre des Dharmadhātu vollkommen interdependent und letztlich eins.

Ein weiteres wichtiges Mahāyāna-Konzept ist die Buddha-Natur (Skt. tathāgatagarbha). Spätere Mahāyāna-Sūtras, wie das Nirvāṇa-Sūtra oder das Tathāgatagarbha-Sūtra, lehren, dass alle fühlenden Wesen die Buddhaschaft als Essenz in sich tragen. In diesem Kontext wird Dharmadhātu oft gleichbedeutend mit der Buddha-Natur gebraucht – als der allgegenwärtige erleuchtete Grund des Geistes. Der indische Philosoph Nāgārjuna (2. Jh.), der Begründer der Madhyamaka-Schule, verfasste z.B. das Werk Dharmadhātustava („Lobpreis des Dharmadhātu“). Darin und in ähnlichen Texten der dritten Drehung des Dharma-Rades wird betont, dass der Dharmadhātu (hier verstanden als Buddha-Natur) in allen Wesen vorhanden ist, wenn auch vorübergehend von Unwissenheit verhüllt, und in seiner vollen Pracht erstrahlen kann, sobald die Schleier beseitigt sind (Praise of the Dharmadhatu – Rigpa Wiki). Nāgārjuna beschreibt in diesem Zusammenhang die Buddha-Natur/Dharmadhātu als etwas, das in jedem fühlenden Wesen verborgen leuchtet und durch die Praxis zur Entfaltung gebracht wird (Praise of the Dharmadhatu – Rigpa Wiki). Diese positive Umschreibung des Absoluten ergänzt die eher „leere“ Definition der Prajñāpāramitā-Lehren: Dharmadhātu kann demnach sowohl als Leerheit aller Dinge wie auch als innewohnendes erleuchtetes Potenzial verstanden werden – zwei Perspektiven auf dieselbe letztendliche Wirklichkeit.

Auch andere Mahāyāna-Sūtras rühmen den Dharmadhātu. Im Gaganagañja-Sūtra (8. Kapitel des Mahāsaṃnipāta-Sūtra) wird der Bodhisattva angeleitet, sich mit dem „Prinzip des Dharma-Bereichs“ zu verbinden, und es folgt eine Reihe von Attributen des Dharmadhātu ähnlich wie oben: „frei von Begierde…, frei von Entstehen und Vergehen…, ohne Kommen oder Gehen…, immer identisch in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions). Der Dialog fährt fort: „Was ist der Ort der absoluten Wahrheit (dharmadhātu)? … Er ist weder Geburtsort noch Sterbeort, weder ein Ort noch kein Ort… gerade dieser Nicht-Ort ist der Ort aller Dharmas“ (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions). Solche Aussagen verdeutlichen, dass der Dharmadhātu über alle konventionellen Vorstellungen hinausgeht – er ist Nirvāṇa selbst, der „ungeborene, ungewordene“ Zustand, in dem kein getrenntes Sein mehr feststellbar ist.

Yogācāra: Dharmadhātu als vollendete Wirklichkeit des Geistes

Die Yogācāra-Schule (auch Vijñānavāda oder „Geist-Schule“ genannt), die im 4.–5. Jh. in Indien entstand, integriert das Dharmadhātu-Konzept in ihre Auslegung der Wirklichkeit als geistige Konstruktion. Yogācāra-Lehren unterscheiden drei Existenzmodi bzw. „Naturen“ aller Dinge: eine eingebildete/halluzinierte Natur, eine abhängige/relativ entstandene Natur und eine vollendete wahre Natur (Skt. pariniṣpanna-svabhāva). Letztere entspricht der ultimativen Realität, wie sie ist, wenn die Täuschungen überwunden sind. In diesem Rahmen wird Dharmadhātu als Aspekt der vollendeten Natur aufgefasst (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions). Es bezeichnet die „Weite der Realität“ (expanse of reality) – die wahre Beschaffenheit aller Erscheinungen, frei von dualistischer Trennung zwischen Wahrnehmer und Wahrgenommenem (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions). Ein moderner Gelehrter beschreibt diese Sicht so: „Die vollendete Natur hat noch neun weitere Aspekte (wie z.B. den Dharmadhātu), wie es in der großen Prajñāpāramitā erklärt wird“, nämlich Aspekte des wirklichen So-Seins (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions). Der Dharmadhātu ist demnach eine Facette des vollkommen verwirklichten Seinszustands, gleichbedeutend mit der absoluten Wahrheit.

Für Yogācāra ist letztlich alles Erscheinende eine Manifestation des Geistes. Der Alaya-Vijñāna (Grund- oder Speicherbewusstsein) enthält die Samen aller Erfahrungen. Erleuchtung bedeutet, dass dieses Bewusstsein seine eigenprojizierten Illusionen durchschaut und zu seiner natürlichen Reinheit zurückkehrt. Genau dieser rein erstrahlende Grund ist der Dharmadhātu, in dem kein Dualismus von Subjekt und Objekt mehr besteht. Einige Yogācāra-Texte verwenden Dharmadhātu austauschbar mit Begriffen wie Tathatā (Soheit) oder Bhūtatathatā (wirkliche Soheit). Es wird betont, dass in der Erfahrung des Erleuchteten alle Dinge als Ausfluss ein und derselben Essenz erscheinen, nämlich des reinen Geistes. So heißt es beispielsweise im Lankāvatāra-Sūtra, einem Yogācāra-orientierten Text, oft: „Die Welt ist nichts als Geist“ – womit darauf hingewiesen wird, dass äußere und innere Phänomene letztlich in dem einen „Geist-Raum“ des Dharmadhātu ungeteilt sind.

Interessant ist, dass Yogācāra und Buddha-Natur-Lehren in Ostasien und Tibet stark verschmolzen wurden. In vielen späteren Kommentaren (etwa von tibetischen Gelehrten wie dem 14. Jh. lebenden Longchenpa oder im 19. Jh. von Jamgön Mipham) wird der Dharmadhātu zugleich als Geistesnatur und Buddha-Natur interpretiert – als ursprünglich reiner Urgrund, der allem zugrunde liegt. Diese Betonung des inneren Lichts des Dharmadhātu steht nicht im Widerspruch zur Leerheits-Lehre, sondern ergänzt sie: Was für die Madhyamaka bloß Leerheit ist, wird in der Yogācāra- und Tathāgatagarbha-Tradition als leuchtendes Potenzial gesehen. Beide Male ist aber der unaussprechliche absolute Zustand gemeint.

Madhyamaka: Dharmadhātu als universale Leerheit

Die Madhyamaka-Schule (gegründet von Nāgārjuna) legt den Schwerpunkt bekanntermaßen auf die Leere (śūnyatā) aller Dinge. Aus Madhyamaka-Sicht bedeutet Dharmadhātu vor allem die Gesamtheit aller Phänomene in ihrem Aspekt der Leere – also die eine gemeinsame Natur aller Dinge, nämlich das Freisein von eigenständigem Sein. Nāgārjuna selbst verwendet den Begriff Dharmadhātu in seinen Schriften selten explizit, spricht aber von dharmatā und tathatā, was inhaltlich darauf hinausläuft. Die Madhyamaka-Philosophen betonen, dass alle unterscheidbaren Dinge letztlich „leer von Eigenwesen“ sind; in dieser Leerheit sind sie gleich und nicht-zwei. Der Dharmadhātu ist somit kein besonderes Objekt, das man irgendwo finden könnte, sondern die Beschaffenheit aller Objekte. Er ist „die eine Leere“, die allen zugrunde liegt (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions).

Ein Madhyamaka-orientierter Text formuliert: „Zusammen bilden sie (alle Einzelphänomene) eine einzige Leerheit: den Dharmadhātu.“ (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions). Damit wird jede Tendenz genommen, das Absolute als greifbares Ding zu betrachten – Dharmadhātu ist gerade die Abwesenheit von Eigenwesen, nicht ein höheres Wesen. Konsequenterweise lässt er sich nicht dualistisch gegenüber den Phänomenen stellen: Form und Leerheit sind eins, wie es das berühmte Herz-Sūtra ausdrückt. Madhyamaka beschreibt den Dharmadhātu häufig apophatisch, also durch das Zurückweisen falscher Zuschreibungen: Er entzieht sich allen Extremen von Sein oder Nichtsein, Kommen oder Gehen usw. (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions). Ein bereits erwähntes Sūtra-Zitat illustriert dies ganz im Geiste Nāgārjunas: „Es ist nicht der Ort der Geburt und nicht der Ort des Todes, weder Ort noch Nicht-Ort…“ (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions) – all das zielt darauf, den mittleren Weg (Madhyamaka) zu betonen, nämlich dass der letztendliche Bereich unbezeichnet und unaussprechlich ist.

In der Madhyamaka-Auslegung kulminiert die Verwirklichung des Dharmadhātu im Nicht-Festhalten an jeglichem Standpunkt. So wird manchmal gesagt, Arhats (Heilige des Hīnayāna) hätten zwar die Leerheit/Dharmadhātu verwirklicht, doch ihr Verständnis sei begrenzt – vergleichbar jemandem, der mit einer kleinen Schale das Meer ausschöpfen will (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions). Ein Buddha hingegen erkennt die „Grenzenlosigkeit“ dieses Ozeans voll und ganz (Dharmadhatu, Dharma-dhatu, Dharmadhātu: 17 definitions). Madhyamaka legt also Wert darauf, dass man den Dharmadhātu nicht objektiviert, sondern als Grenzenlosigkeit aller Dinge begreift. Einige tibetische Denker der Prāsaṅgika-Madhyamaka verwenden Dharmadhātu praktisch synonym mit Dharmakāya, dem „Wahrheitskörper“ eines Buddha, welcher ja nichts anderes ist als die vollständig erkannte Leerheit. In Tsongkhapas Schriften etwa wird betont, dass der Dharmakāya eines Buddhas genau diese Leerheit aller Phänomene ist, die jener Buddha unverhüllt sieht. Somit stimmt die Madhyamaka-Definition des Dharmadhātu mit der klassischen Mahāyāna-Auffassung überein: die eine, letztliche Realität jenseits aller konzeptionellen Unterscheidungen, in der alle Phänomene „so sind, wie sie sind“ (tathatā).

Seiten: 1 2