Die eigene Arbeit ethisch gestalten
Nachdem wir uns mit Rechtem Reden (Sammā Vācā) und Rechtem Handeln (Sammā Kammanta) beschäftigt haben, schließen wir nun den Bereich des ethischen Verhaltens (Sīla) im Achtfachen Pfad mit dem fünften Glied ab: Rechter Lebenserwerb (Sammā Ājīva). Dies bedeutet, seinen Lebensunterhalt auf eine Weise zu verdienen, die rechtschaffen ist, keinen Schaden anrichtet und idealerweise sogar zum Wohl anderer beiträgt. Unsere Arbeit nimmt einen großen Teil unserer Lebenszeit ein, daher ist es entscheidend, wie wir sie gestalten und welche Auswirkungen sie hat.
Anna und die Ethik im Berufsalltag
Anna arbeitet im Marketing. Sie mag ihren Job, aber manchmal kommen ihr Zweifel:
- Ist das Produkt, das sie bewirbt, wirklich so gut und nützlich, wie die Kampagne es darstellt, oder werden Bedürfnisse künstlich geweckt?
- Sind die Marketingmethoden immer transparent und fair, oder wird mit psychologischen Tricks gearbeitet, um Menschen zum Kauf zu bewegen, auch wenn sie es sich vielleicht nicht leisten können oder das Produkt nicht brauchen?
- Wie geht ihr Unternehmen mit Mitarbeitern, Lieferanten und der Umwelt um? Gibt es faire Arbeitsbedingungen und nachhaltige Praktiken?
Diese Überlegungen berühren direkt den Kern von Rechtem Lebenserwerb. Es geht darum, ehrlich zu sich selbst zu sein bezüglich der Auswirkungen der eigenen Tätigkeit.
Grundprinzipien Rechten Lebenserwerbs
Traditionell werden bestimmte Berufe oder Handelszweige genannt, die als nicht vereinbar mit Rechtem Lebenserwerb gelten, weil sie inhärent Leid verursachen. Dazu gehören:
- Handel mit Waffen: Berufe, die direkt mit der Herstellung oder dem Verkauf von Waffen zu tun haben.
- Handel mit Lebewesen: Dies bezieht sich auf den Handel mit Menschen (Sklaverei, Ausbeutung) und den Handel mit Tieren zur Schlachtung oder für Tierversuche.
- Fleischproduktion und -handel (in großem Stil): Berufe, die direkt mit der massenhaften Tötung von Tieren verbunden sind.
- Handel mit Rauschmitteln und Giften: Berufe, die mit der Herstellung oder dem Verkauf von Substanzen zu tun haben, die süchtig machen oder die Gesundheit schädigen.
- Betrügerische oder ausbeuterische Tätigkeiten: Berufe, die auf Täuschung, Betrug, Wucher oder Ausnutzung der Schwäche anderer basieren.
Die positiven Aspekte Rechten Lebenserwerbs sind:
- Eine Tätigkeit auszuüben, die ehrlich ist und auf fairem Austausch beruht.
- Keinen Schaden für sich selbst, andere Lebewesen oder die Umwelt zu verursachen.
- Idealerweise eine Arbeit zu verrichten, die nützlich ist und zum Wohlergehen der Gesellschaft beiträgt.
- Die Art und Weise, wie man arbeitet: mit Integrität, Fleiß, Fairness und Respekt gegenüber Kollegen, Kunden und Geschäftspartnern.
Kritische Nachfragen und Klärungen zu Rechtem Lebenserwerb
Die Anwendung dieser Prinzipien in der modernen, komplexen Arbeitswelt ist nicht immer einfach:
„Mein Job ist nicht perfekt ethisch, aber ich brauche das Geld, um meine Familie zu ernähren. Was soll ich tun?“
Dies ist eine sehr reale und verständliche Sorge. Rechter Lebenserwerb ist oft ein Prozess und ein Ideal, dem man sich annähert. Es geht nicht immer darum, sofort den Job zu kündigen, wenn nicht alles perfekt ist, besonders wenn existentielle Nöte bestehen. Es kann bedeuten:- Innerhalb des bestehenden Jobs nach Möglichkeiten zu suchen, positiven Einfluss zu nehmen oder schädliche Aspekte zu minimieren.
- Sich bewusst zu machen, welche Aspekte problematisch sind, und langfristig nach Alternativen Ausschau zu halten.
- Die eigene Haltung und das eigene Verhalten im Job so ethisch wie möglich zu gestalten, auch wenn das Umfeld schwierig ist.
„Bedeutet das, ich muss jetzt unbedingt für eine NGO arbeiten oder einen ’spirituellen‘ Beruf ergreifen?“
Nein, das ist nicht zwingend notwendig. Viele „normale“ Berufe können im Einklang mit Rechtem Lebenserwerb ausgeübt werden, sei es als Handwerker, Lehrer, Arzt, Verkäufer, Programmierer etc. Entscheidend ist die Ausrichtung und die Auswirkung der Tätigkeit. Ein ethisch handelnder Bäcker, der gute Produkte herstellt und seine Mitarbeiter fair behandelt, praktiziert Rechten Lebenserwerb genauso wie jemand, der im sozialen Bereich tätig ist.„Die Weltwirtschaft ist so komplex. Wie kann ich überhaupt beurteilen, ob mein Job ‚rein‘ ist, wenn mein Unternehmen Teil eines globalen Systems mit vielen undurchsichtigen Verflechtungen ist?“
Vollkommene Reinheit ist in einer interdependenten Welt schwer zu erreichen. Es geht um eine bewusste Bemühung und darum, Verantwortung für den eigenen Wirkungsbereich zu übernehmen. Man kann recherchieren, kritisch hinterfragen und versuchen, Transparenz zu fördern. Wichtig ist die ehrliche Selbstreflexion: Tue ich mein Bestes, um Schaden zu vermeiden und Nutzen zu stiften, im Rahmen meiner Möglichkeiten und meines Wissens?
Anna versucht, ihren Lebenserwerb bewusster zu gestalten:
- Hinterfragen von Projekten: Sie spricht interne Bedenken an, wenn sie Marketingkampagnen für ethisch fragwürdig hält oder wenn Produkteigenschaften übertrieben dargestellt werden sollen.
- Förderung positiver Aspekte: Sie versucht, in ihren Kampagnen den echten Nutzen eines Produkts oder einer Dienstleistung hervorzuheben und manipulative Techniken zu meiden.
- Achtsamkeit im Umgang: Sie achtet auf einen fairen und respektvollen Umgang mit Kollegen und Dienstleistern.
- Langfristige Perspektive: Sie informiert sich über Unternehmen, deren Werte besser zu ihren eigenen passen, und hält Augen und Ohren offen für berufliche Möglichkeiten, die ihr ein höheres Maß an Sinnhaftigkeit ermöglichen.
Eine kleine Übung zu Rechtem Lebenserwerb:
- Reflektiere deine aktuelle Arbeitssituation:
- Welche Aspekte deiner Arbeit empfindest du als ethisch unbedenklich oder sogar positiv?
- Gibt es Bereiche, die dir Unbehagen bereiten oder die du als potenziell schädlich für dich, andere oder die Umwelt siehst?
- Wie gehst du mit Kollegen, Kunden, Vorgesetzten und Untergebenen um? Entspricht das deinen ethischen Vorstellungen?
- Identifiziere einen kleinen Schritt: Gibt es eine kleine, konkrete Veränderung, die du in deinem Arbeitsalltag vornehmen könntest, um deinen Lebenserwerb mehr in Richtung „Rechter Lebenserwerb“ zu bewegen? Das könnte sein:
- Eine unethische Praxis nicht mehr mitzumachen (z.B. bei Lästereien über Kollegen nicht einstimmen).
- Dich für eine fairere oder nachhaltigere Vorgehensweise in einem kleinen Bereich einzusetzen.
- Einem Kollegen oder einer Kollegin besonders hilfsbereit und wertschätzend zu begegnen.
- Dich über Weiterbildungsmöglichkeiten zu informieren, die dir langfristig eine erfüllendere Tätigkeit ermöglichen.
Rechter Lebenserwerb ist ein integraler Bestandteil eines ethischen und achtsamen Lebens. Indem wir versuchen, unsere Arbeit in Einklang mit unseren Werten zu bringen, tragen wir nicht nur zu einer besseren Welt bei, sondern finden auch mehr Frieden und Sinn in unserem eigenen Tun.