Den Geist auf das Heilsame ausrichten
Nachdem wir mit der Rechten Einsicht (Sammā Diṭṭhi) ein grundlegendes Verständnis der Realität – der Vier Edlen Wahrheiten, der Daseinsmerkmale Anicca, Dukkha, Anattā und des Prinzips von Karma – gewonnen haben, wenden wir uns nun dem zweiten Glied des Achtfachen Pfades zu: Rechte Absicht (Sammā Saṅkappa). Sie ist die unmittelbare Frucht unserer Einsicht und die treibende Kraft hinter heilsamem Denken, Sprechen und Handeln. Rechte Absicht gibt unserem Leben eine klare, ethische und förderliche Ausrichtung.
Anna und die Kraft ihrer inneren Ausrichtung
Erinnern wir uns an Anna, die sich über ihren Kollegen geärgert hat (aus der Karma-Unterweisung). Ihre Rechte Einsicht könnte ihr zeigen, dass ihr Ärger vergänglich ist (Anicca), dass das Festhalten daran Leiden verursacht (Dukkha), dass die Situation durch unheilsame Reaktionen eskalieren kann (Karma) und dass weder sie noch ihr Kollege ein festes, unveränderliches „Problem-Ich“ sind (Anattā).
Aufbauend auf dieser Einsicht kann Anna nun eine Rechte Absicht kultivieren:
- Statt der Absicht, dem Kollegen eins auszuwischen (basierend auf Ärger), könnte sie die Absicht entwickeln, die Situation konstruktiv zu klären (Absicht des Wohlwollens und der Entsagung von Groll).
- Statt der Absicht, ihre eigene Position um jeden Preis durchzusetzen (basierend auf Ego), könnte sie die Absicht entwickeln, eine faire Lösung zu finden, die auch die Perspektive des anderen berücksichtigt (Absicht der Gewaltlosigkeit/des Nicht-Schädigens und des Wohlwollens).
Diese innere Ausrichtung wird dann ihre Worte und Taten maßgeblich beeinflussen – hin zu einem heilsameren Ergebnis.
Was ist Rechte Absicht?
Rechte Absicht ist nicht nur ein vager Wunsch, sondern eine bewusste Entscheidung und Ausrichtung des Geistes auf heilsame Qualitäten. Traditionell wird sie oft in drei Aspekten beschrieben:
- Die Absicht der Entsagung (Nekkhamma-Saṅkappa):
Dies bedeutet, die Absicht zu entwickeln, Begierden, Festhalten und Anhaftung an sinnliche Vergnügungen und weltliche Dinge loszulassen, die uns binden und Leiden verursachen. Es geht nicht darum, alles Weltliche abzulehnen, sondern die unheilsame Abhängigkeit davon zu erkennen und die Freiheit von dieser Abhängigkeit anzustreben. Für Anna könnte das bedeuten, die Absicht zu fassen, ihren Drang nach sofortiger Bedürfnisbefriedigung (z.B. dem Ärger sofort Luft machen) zu mäßigen. - Die Absicht des Wohlwollens (Avyāpāda-Saṅkappa):
Dies ist die Absicht, frei von Übelwollen, Hass, Ärger und Groll zu sein und stattdessen Freundlichkeit, Güte und Wohlwollen gegenüber allen Lebewesen zu kultivieren. Es ist der Wunsch, dass andere glücklich und frei von Leiden sein mögen. Annas Absicht, dem Kollegen nicht schaden, sondern die Beziehung verbessern zu wollen, wäre ein Beispiel. - Die Absicht der Gewaltlosigkeit oder des Nicht-Schädigens (Avihiṃsā-Saṅkappa):
Dies ist die Absicht, anderen Lebewesen kein Leid zuzufügen, weder physisch noch psychisch. Es geht um Mitgefühl und den aktiven Wunsch, andere nicht zu verletzen oder zu quälen. Dies schließt auch die Selbstfürsorge ein – uns selbst nicht unnötig zu quälen. Annas Entscheidung, keine verletzende E-Mail zu schreiben, entspringt dieser Absicht.
Kritische Nachfragen und Klärungen zur Rechten Absicht
Die Idee der „Rechten Absicht“ kann Fragen oder Skepsis hervorrufen:
„Ist das nicht einfach nur positives Denken? Das allein verändert doch nichts.“
Rechte Absicht ist mehr als nur oberflächliches positives Denken. Sie wurzelt in der Rechten Einsicht – einem tiefen Verständnis der Realität. Während positives Denken manchmal dazu dienen kann, unangenehme Wahrheiten zu überdecken, zielt Rechte Absicht darauf ab, unseren Geist auf eine Weise auszurichten, die tatsächlich zu heilsameren Handlungen und damit zu weniger Leiden führt. Es ist die bewusste Entscheidung, unsere mentalen Energien in eine Richtung zu lenken, die mit Weisheit und Mitgefühl übereinstimmt. Die Veränderung beginnt im Geist und setzt sich im Handeln fort.„Man kann doch nicht immer nur wohlwollend und entsagend sein. Manchmal muss man sich doch durchsetzen oder für seine Rechte kämpfen!“
Rechte Absicht bedeutet nicht, passiv, naiv oder eine „Fußmatte“ zu sein. Wohlwollen und Gewaltlosigkeit schließen nicht aus, für Gerechtigkeit einzutreten oder klare Grenzen zu setzen. Der entscheidende Unterschied liegt in der inneren Haltung. Man kann für seine Rechte eintreten, ohne von Hass oder dem Wunsch zu verletzen getrieben zu sein. Entsagung bedeutet nicht, keine Ziele mehr zu haben, sondern nicht zwanghaft an Ergebnissen oder vergänglichen Vergnügungen anzuhaften, die letztlich Leiden erzeugen. Es geht um eine innere Freiheit und Klarheit, auch in schwierigen Situationen.„Meine Absichten sind meistens gut, aber es kommt trotzdem oft anders. Liegt es dann nicht an mir?“
Das Prinzip von Karma lehrt uns, dass viele Faktoren zusammenwirken. Unsere Absicht ist ein sehr wichtiger Same, aber wie dieser Same aufgeht, hängt auch von anderen Bedingungen ab (Handlungen anderer, äußere Umstände). Wichtig ist, dass wir die Verantwortung für unsere Absicht und die daraus resultierenden Handlungen übernehmen. Wenn wir konsequent heilsame Absichten kultivieren, erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit für positive Ergebnisse und entwickeln eine innere Stärke, auch wenn die Dinge nicht immer wie geplant laufen. Es geht um den Prozess und die Ausrichtung, nicht nur um das garantierte Ergebnis.
Anna kultiviert heilsame Absichten im Alltag:
- Vor einem schwierigen Gespräch: Sie nimmt sich einen Moment Zeit, um die Absicht des Wohlwollens und des Verstehens zu setzen, statt der Absicht, „gewinnen“ zu wollen.
- Wenn sie sich gestresst fühlt: Sie fasst die Absicht, freundlich zu sich selbst zu sein (Nicht-Schädigen) und nach Wegen zu suchen, um den Stress loszulassen (Entsagung von Anspannung).
- Im Umgang mit Konsumwünschen: Sie hinterfragt die Absicht hinter einem Kauf – braucht sie das wirklich, oder ist es nur ein kurzfristiger Impuls (Entsagung von blinder Begierde)?
Eine kleine Übung zur Kultivierung Rechter Absicht:
- Absicht für den Tag: Nimm dir morgens ein paar Minuten Zeit. Nachdem du vielleicht kurz deine aktuelle Stimmung oder deine Gedanken beobachtet hast, frage dich: „Welche heilsame Absicht möchte ich heute besonders pflegen?“ Das könnte sein:
- Die Absicht, geduldiger zu sein.
- Die Absicht, freundliche Worte zu wählen.
- Die Absicht, loszulassen, was ich nicht kontrollieren kann.
- Die Absicht, dankbar für kleine Dinge zu sein.
Schreibe dir diese Absicht vielleicht auf einen Zettel oder erinnere dich im Laufe des Tages immer wieder daran.
- Absicht in einer spezifischen Situation: Bevor du in eine potenziell herausfordernde Situation gehst (ein Meeting, ein Gespräch, eine schwierige Aufgabe), halte kurz inne. Atme ein paar Mal tief durch. Frage dich: „Was ist hier meine tiefste, heilsamste Absicht? Wie möchte ich mich verhalten, um dem Wohl aller Beteiligten (einschließlich mir selbst) zu dienen?“
Rechte Absicht ist wie ein Kompass für unseren Geist. Sie hilft uns, auch in stürmischen Zeiten Kurs zu halten und unser Leben bewusst in eine Richtung zu lenken, die zu mehr Frieden, Weisheit und Mitgefühl führt.