Es gibt einen Ausweg
In den ersten beiden Unterweisungen hast du mit Anna die Realität alltäglicher Unzufriedenheit (Dukkha) und ihre inneren Wurzeln (Samudāya) erkundet. Jetzt stellt sich die entscheidende Frage: Bist du diesem Kreislauf aus Stress, Frustration und Verlangen hilflos ausgeliefert? Die buddhistische Lehre gibt hier eine hoffnungsvolle Antwort.
Annas Moment der Stille: Ein unerwarteter Freiraum
Stellen wir uns Anna ein paar Wochen später vor. Sie hat begonnen, ihre inneren Reaktionen bewusster wahrzunehmen, inspiriert durch die Erkenntnis, dass ihr eigener Geist eine große Rolle bei ihrem Stresslevel spielt. Eines Tages erhält sie eine E-Mail von ihrem Vorgesetzten mit einer kurzfristigen, anspruchsvollen Aufgabe – eine Situation, die sie früher sofort in helle Aufregung versetzt hätte. Sie bemerkt, wie die bekannten Gedanken („Das schaffe ich nie!“, „Warum immer ich?“) und das vertraute Engegefühl in der Brust auftauchen wollen.
Doch dieses Mal geschieht etwas Neues. Anstatt sich sofort von dieser Welle mitreißen zu lassen, hält Anna für einen Moment inne. Sie erinnert sich an ihre Beobachtungen: Wie oft hat sie sich schon im Vorfeld verrückt gemacht, nur um dann festzustellen, dass es doch irgendwie ging? Sie atmet tief durch. Die Panik legt sich nicht vollständig, aber sie eskaliert nicht. Es entsteht ein kleiner innerer Freiraum, ein Moment der Klarheit, in dem sie ruhiger überlegen kann, wie sie die Aufgabe angehen könnte. Sie ist immer noch nicht begeistert von der Extra-Arbeit, aber das Gefühl der überwältigenden Ohnmacht ist geringer.
Dieser kleine Moment, dieser Hauch von innerem Abstand und verringerter Reaktivität, ist ein Vorgeschmack auf das, was die Dritte Edle Wahrheit beschreibt.
Die Dritte Edle Wahrheit: Das Ende des Leidens ist möglich (Nirodha)
Die Dritte Edle Wahrheit verkündet, dass es eine Aufhebung von Dukkha gibt – „Nirodha“. Das bedeutet nicht unbedingt, dass alle äußeren Probleme auf magische Weise verschwinden, wir nie wieder traurig sind oder vor keinen Herausforderungen mehr stehen. Das Leben wird weiterhin seine Höhen und Tiefen haben.
Nirodha bezieht sich vielmehr auf das Aufhören des unnötigen, selbstgemachten Leidens – jenes Leidens, das aus unserem Anhaften, unserer Abneigung und unserer Verblendung entsteht. Es ist die Befreiung von der Tyrannei unserer eigenen reaktiven Muster. Wenn die Ursachen (Taṇhā, Dvesha, wie in der zweiten Unterweisung besprochen) erkannt und allmählich aufgelöst werden, kann auch das dadurch bedingte Leiden nachlassen und schließlich aufhören.
Was bedeutet „Ende des Leidens“ praktisch – und was bedeutet es nicht?
Diese Aussicht kann bei manchen Menschen Widerstand oder Skepsis hervorrufen:
„Ist das nicht unrealistisch oder eine Flucht vor der Realität?“
Es ist keine Flucht, sondern ein tieferes Sich-Einlassen auf die Realität – insbesondere auf die Realität unseres eigenen Geistes. Es geht darum, die Art und Weise, wie wir auf Schwierigkeiten reagieren, zu verändern. Wenn Anna lernt, mit Stressoren anders umzugehen, flieht sie nicht vor der Arbeit, sondern findet einen gesünderen Weg, sie zu bewältigen.„Werde ich dann emotionslos oder gleichgültig?“
Ganz im Gegenteil. Wenn der Geist nicht ständig von Begierden, Ängsten und Abneigungen aufgewühlt ist, entsteht Raum für tiefere, authentischere Gefühle wie Mitgefühl, Freude und Gelassenheit. Es geht nicht darum, keine Gefühle mehr zu haben, sondern nicht mehr von ihnen Sklave zu sein. Annas Moment der Stille ermöglichte ihr eine klarere, weniger von Panik getriebene Sicht.„Ist das ein Zustand, den nur erleuchtete Meister erreichen können?“
Nirodha ist nicht unbedingt ein einmaliger, endgültiger Zustand, den man entweder hat oder nicht. Es ist oft ein gradueller Prozess. Jeder kleine Schritt, bei dem wir uns weniger in unseren alten Mustern verstricken, ist ein Moment von Nirodha, ein Moment größerer Freiheit. Annas Fähigkeit, nicht sofort in Panik zu verfallen, war so ein kleiner, aber bedeutsamer Schritt.
Die Dritte Edle Wahrheit ist also keine Vertröstung auf ein fernes Paradies, sondern eine Einladung, die Möglichkeit von mehr Frieden und Freiheit in unserem jetzigen Leben zu entdecken. Sie macht deutlich, dass wir nicht für immer Gefangene unserer gewohnheitsmäßigen Reaktionen sein müssen.
Eine kleine Übung zur Entdeckung von Hoffnung (5-10 Minuten):
Die Erkenntnis, dass eine Befreiung von unnötigem Leiden möglich ist, kann sehr motivierend sein.
Positive Ausnahme-Momente finden: Denke 2-3 Minuten zurück an einen Moment (und sei er noch so klein), in dem du auf eine schwierige Situation überraschend ruhig oder anders als sonst reagiert hast. Vielleicht hast du tief durchgeatmet, bevor du geantwortet hast, oder eine Sorge für einen Moment loslassen können. Wie hat sich das angefühlt?
Vision entwickeln: Stell dir 3-5 Minuten vor, wie es wäre, wenn solche Momente der Klarheit und Gelassenheit häufiger in deinem Leben vorkämen. Nicht weil die Probleme verschwinden, sondern weil du ihnen mit mehr innerer Stärke begegnen könntest. Was würde sich konkret ändern?
Möglichkeit anerkennen: Erkenne an, dass dieser Zustand nicht nur ein Wunschtraum ist, sondern dass du bereits Ansätze davon erlebt hast. Diese kleine Vorahnung zeigt: Veränderung ist möglich, auch wenn der Weg noch vor dir liegt.
Diese Hoffnung ist nicht passiv, sondern der Ansporn, den Weg zu dieser Freiheit tatsächlich zu beschreiten. Du kannst lernen, Architektin oder Architekt deines inneren Erlebens zu werden, selbst wenn sich die äußeren Umstände nicht immer kontrollieren lassen.
Wie wäre es für dich, wenn du die Architektin oder der Architekt deines inneren Erlebens sein könntest – weniger reaktiv auf das, was geschieht, und mehr in der Lage, mit Ruhe und Klarheit zu antworten?